Konsumgesellschaft im Dilemma

Ein jüngeres Phänomen in unseren Breitegraden: Menschentrauben postieren sich vor Läden und Einkaufszentren, bewaffnet mit Wägeli, Portemonnaie und Adleraugen für die besten Deals und Rabatte.
Öffnen die Türen, stürmen sie hinein zu den Rotstiftangeboten. Am «Black Friday» sind «Schnäppchenjäger» in ihrem Element. Ungehemmter Konsum wird nicht nur akzeptiert, sondern belohnt. Prozenttafeln manövrieren einen regelrecht in den Konsumzwang. Man muss einfach zuschlagen.
Raus aus dem Lockdown, rein ins Dilemma
Mittlerweile kann sich dem grössten Shopping-Ereignis des Jahres praktisch kein Händler mehr entziehen. Jahr für Jahr nehmen mehr Unternehmen teil. Und obwohl das Einkaufen übers Internet stark zugenommen hat, wird ca. 80% des Umsatzes, der am «Black Friday» erzielt wird, physisch in den Läden vor Ort gemacht. Dieses Jahr sollen Menschenansammlungen verhindert werden, die Läden setzen auf verstärkte Schutzkonzepte und mehr Online-Kunden. Eine herausfordernde Situation. Der «Black Friday» gehört für viele Läden zu den umsatzstärksten Tagen im Jahr und ist auch für das Weihnachtsgeschäft wichtig, einzelne Händler weiten den Tag gar auf eine «Black Week» aus, um die Umsätze weiter anzukurbeln.
Im Frühling dieses Jahres, dem Corona-Jahr, mussten alle Läden schliessen. Es fehlt an Einnahmen, vielen Händlern geht es schlecht, besonders kleineren. Für sie geht es um die Existenz. Das Weihnachtsgeschäft ist entscheidend. Da sich von Jahr zu Jahr mehr Shops dem Aktionstag anschliessen, wird es für die wenigen Verbliebenen immer schwieriger, sich der negativen Preisspirale zu entziehen. Die Anzahl Verkäufe müssten drei bis siebenmal höher ausfallen, damit sich die Rabattaktionen auszahlen. Wie soll das gehen?
Es ist ein Dilemma, das mich nachdenklich stimmt. Der Konsum-Exzess nimmt Ausmasse an, die für viele nicht mehr vertretbar sind. Und er steht im starken Kontrast zur Klimadebatte. Trotzdem wird fleissig weitergeshopped.
Alternativen statt Fingerzeig
«Blaming» funktioniert nicht. Man muss den Konsumenten echte Alternativen bieten und Lösungen aufzeigen, wie sie nachhaltiger konsumieren können.
Das Schweizer Unternehmen «Nikin» pflanzt normalerweise für jeden Einkauf einen Baum. Rund um den «Black Friday» bieten sie nicht dem Konsumenten, sondern der Natur einen Rabatt: «Nikin» spendet bei gleichbleibendem Kleiderpreis doppelt so viel Geld an ihren Pflanzenpartner.
Der deutsche Outdoor-Händler «Globetrotter» bietet Kund:innen an, gebrauchte Ausrüstung in eine Filiale zurückzubringen und dafür einen Gutschein zu erhalten. Die Secondhand-Ausrüstung kommt zurück in den Verkauf, ein Teil des Erlöses wird gespendet.
Die Textilmanufaktur «Colora» hat als Mitglied von Fashion Revolution mit dem «Colorful Friday» eine Gegenbewegung gestartet, die sich gegen die Rabattschlacht und für fairen und nachhaltigen Konsum einsetzt. Entwickelt hat sich das Projekt aus dem «White Friday». Am 27. November bezahlen Kunden nicht weniger für ihren Einkauf, es werden 10% an «Fashion Revolution» oder ein anderes sinnvolles Projekt gespendet. In Luzern beteiligen sich bereits 11 Geschäfte an der Aktion.
«Orell Füssli» setzt auf Eigenverantwortung und lässt dem Konsumenten die Wahl: Am «Black Friday» erhält man entweder 20% Rabatt auf den Einkauf oder 20% des Betrags können an «Caritas» gespendet werden.
Alternativen sind da. Ich finde, statt mit dem Finger aufeinander zu zeigen, sollte sich jede und jeder mit dem eigenen Konsumverhalten kritisch auseinandersetzen. Der Anspruch, alles perfekt zu machen, ist überholt. Man kann auch bereits im Kleinen Vieles bewirken und sein Umfeld inspirieren.