Philosophie mit Barbara Bleisch
Wir wissen es alle: es gibt kein Wundermittel gegen Corona. Weder gegen die medizinischen noch die seelischen Herausforderungen, die diese Pandemie mit sich bringt. Der Dialog mit Barbara Bleisch – Philosophin, Journalistin und Moderatorin – inspiriert jedoch zu Denkmustern, die einiges positiv verändern.
Ein Gespräch rund ums Thema Vertrauen, Respekt, Selbsterkennung und Demut
Auf dem Zürcher Sechseläutenplatz werden eben die schmucken Häuschen für das Weihnachtsdorf aufgebaut und wir geniessen Smalltalk mit spannenden Menschen bei wärmendem Glühwein und Marroni in unserem Innenhof. Ein ganz normaler, trübkalter Novemberabend im Herzen der Limmatstadt? Nein, denn heute ist definitiv nichts mehr einfach nur «normal». Seit bald zwei Jahren leben wir in und mit einer unvergleichbaren Zeit.
Zwar hat sich das unmittelbare Gefühl des Ausnahmezustands gelegt; wir sind damit beschäftigt neue Regeln zu tarieren und uns im neuen Alltag zurecht zu finden. Doch ist die Welt, ist unsere Welt, somit (wieder) in Ordnung?
Der heutige Abend macht den Anschein und verdeutlicht die Wichtigkeit menschlicher Interaktion. Diese ist uns in den unzähligen virtuellen Räumen, in denen wir uns gezwungenermassen über längere Zeit fast ausschliesslich bewegen mussten, abhanden gekommen. Auch abhanden gekommen ist uns das Vertrauen, welches im Alltag durch non-verbale Konversationen genährt wird. Schön, dass physischer Austausch, physische Präsenz, jetzt wieder uneingeschränkter möglich sind. Sie fördern, neben Vertrauen, Klarheit, nähren Respekt und tun uns einfach gut!
Die menschliche Hilflosigkeit in aussergewöhnlichen Zeiten und Situationen
Wir alle sind Anfängerinnen und Anfänger im Umgang mit der Pandemie. Wir alle ringen mit maximal Ungewohntem. Im persönlichen Alltag und auf höherer Ebene. Wir werden unserer gewohnten Freiheit ein gutes Stück beraubt. Und wir realisieren wie komplex und langwierig die Situation ist. Unsere Verantwortung als Gesellschaft ist nicht nur eine Medizinische, sondern auch eine Ökonomische. Es geht um unsere Zukunft, um die Zukunft unserer Familien, unserer Kinder. Dies alles führt zu Hilflosigkeit; für viele zu Überforderung und Angst. Wir ringen mit dem Alltag, wir ringen mit uns selber.
Erkenne dich selbst und unterscheide, was in deiner Macht liegt… und was nicht
Die Philosophie bietet kein Wundermittel gegen unsere Hilflosigkeit und Überforderung. Aber sie kann Hilfestellung bei der Orientierung und Einordnung in fordernden Situationen leisten. Voraussetzung ist die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit sich selbst und Offenheit für Demut.
Philosophie kommt von innen
Sie ist eine kritische Disziplin, die uns in erster Linie lehrt Verantwortung für uns selber zu übernehmen. Nicht erst in den letzten 15, 20 Jahren in denen die Sehnsüchte nach Sinnhorizonten immer erstrebenswerter geworden sind. Philosophie ist ein Grundappell an die Selbstkultivierung. Es gilt sich stets bewusst zu sein, was in unserer ureigenen Macht liegt und was in ausserhalb dieser Macht fällt. Es gilt sich bewusst auf das zu fokussieren, das wir verändern und mitbestimmen können.
Ein Teil dieser Selbsterkennung ist das Bewusstsein für die eigene Endlichkeit. Wir Menschen sind sterblich und die Zeit, die wir zur Verfügung haben, ist immer begrenzt. Gerade dieses Bewusstsein der Verknappung der Zeit ist in fordernden Zeiten etwas sehr Entscheidendes, weil es uns hilft dankbar und demütig zu sein. Und weil es uns antreibt, trotz schwierigen Voraussetzungen, aktiv vorwärts zu gehen.
Weisch no….?
Was wird uns aus der aktuellen Zeit in Erinnerung bleiben? Wie werden wir in 20 Jahren über die Corona-Zeit sprechen? Bewiesenermassen werden sich auch aus dieser Phase längerfristig eher die positiven Veränderungen in unserer Erinnerung festigen. Wir werden erzählen erfahren zu haben, dass wir nicht bis ins letzte Detail alles kontrollieren konnten, dass wir Vertrauen in uns selber gewonnen und Selbstfreundschaft geschlossen haben.
Lesetipps für auf den Weg dahin von Barbara Bleisch:
- Massimo Pigliucci
- John Stuart Mill
- Alexis de Tocqueville
- Odo Marquard
- Byung-Chul Han
- Harald Walzer
- App: Daily Stoic