Gestaltungsraum
Serena Williams entrüstet auf dem Tenniscourt. Sie fühlt sich vom Schiedsrichter als Frau diskriminiert behandelt.
Schieflage.
Auf der Zugfahrt Zürich Bern geraten zwei Fremde in Handgreiflichkeiten. Die Mitreisende sieht hinter der Berührung auf der Armlehne sexuelle Belästigung. Auf der politischen Bühne zählen wir zur Herbstsession 2018 7 Ständerätinnen von 46 möglichen Sitzen in der kleinen Kammer. Gemäss Schilling Report 2018 sind in der Schweiz 7% der Geschäftsführung weiblich.
Kommt es zum Thema «Diversity», Diversifikation der Geschlechter, sind wir in Schieflage. Die Diskussionen werden emotionaler und der gesunde Menschenverstand rückt in den Hintergrund. Viele Männer fühlen sich mehr und mehr ausgeschlossen oder missverstanden. Frauen ihrerseits reagieren heftiger als nötig. Die allseits diskutierte Antwort, der Ausweg aus der Sackgasse: Regulation – die Quotenregelung. Ich halte dem entgegen. Ich will früher ansetzen. Denn was nützt eine neue Regel, wenn sie nur der Regel wegen gelebt wird. Der Frust wird grösser und die Kluft tiefer. Wir sollten auf flexible Lösungen setzen und einen gemeinsamen Gestaltungsraum.
Zwei Welten.
Am 8. Januar 2018 kam unsere Tochter zur Welt. Gut 8 Jahre davor gründete ich ein Frauennetzwerk unserer Dekade, unserer Generation. Und nochmals eine «handvoll» Jahre früher war ich Mitintiantin des Womens Forum der Credit Suisse. Die Notwendigkeit und der Gewinn durch Diversifikation kann ich aus Erfahrung bestätigen. Vor der Geburt widmete ich ganze Abendanlässe oder Artikel möglichen Lösungen rund ums Thema. «The proof of the pudding is in the eating», wie man so schön sagt, kam dann tatsächlich erst mit der Geburt.
Meine Tochter eröffnete mir eine völlig neue Welt, sie ermöglicht mir die 360 Grad Sicht. Nie hätte ich gedacht, dass mich neues Leben so prägen wird. Ich liebe es, Zeit mit ihr zu verbringen. Ich liebe es, die Welt mit ihren Augen zu sehen, vieles neu zu entdecken. Seit 5 Jahren lebe ich als Unternehmerin meine Passion. Auch hier gilt: Ich liebe was ich tue. Ich liebe strategisch zu denken, mit Weitsicht umzusetzen, am Ball zu bleiben und für meine Kunden das Beste zu erarbeiten. Danke meiner Selbstständigkeit konnte ich von Tag eins meine beiden Welten verbinden. Ich kann beides leben. Wäre ich nun Direktionsmitglied in einem Konzern, so würde mir wohl vieles fehlen. Ich hätte wohl einen langen Mutterschutz, die Löhne meines Teams wären gesichert und ich könnte mich 6 Monate nur der Tochter widmen. Doch von Tag eins «back at the office» hätte ich kaum die Möglichkeit sie untertags zu sehen oder gar länger zu stillen.
Flexibilität und Kreativität.
Ob angestellt oder selbstständig, es geht mir darum aufzuzeigen, dass Diversifikation möglich ist, Frauen bereits sehr früh nach Geburt aktiv eingebunden werden können und wollen, wir dafür aber im Denken und Handeln mehr Gestaltungsraum brauchen. Flexibilität und Kreativität ist notwendig, wenn wir einen Schritt weiterkommen möchten.
Betrachten wir unser derzeitiges Arbeitsgesetz, so sind wir legitimiert innerhalb von 14 Stunden unsere Arbeit zu erledigen. 14 Stunden umfassen Pausen und allfällige Überzeit. Wenn ich als Angestellte um 6 Uhr E-Mails beantworte, bevor meine Tochter aufwacht, und um 22 Uhr, wenn meine Tochter eingeschlafen ist, eine letzte Tätigkeit für meine Arbeit erledige, verstosse ich offiziell gegen das Gesetz. Dies ist jedoch der normale und wichtige Alltag arbeitstätiger Eltern. Dieselbe gilt im Mutterschutz. Offiziell dürfen weder E-Mails beantwortet noch Telefonat entgegengenommen werden.
Wenn unser Gesetz in keiner Weise unserer heutigen digitalen Welt mehr entspricht, wie wollen wir als Gesellschaft weiterkommen?
Umdenken und Ideenbühnen.
Ich habe noch keine Lösung, wie wir dieser Zwickmühle entkommen. Mit dem Preis «5vor12 – Preis für schlaue De-Regulierung» (18. September 2018) gaben wir jedoch Thierry Burkart eine Bühne, um seinen Vorstoss hinsichtlich Flexibilisierung des Arbeitsgesetzes einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren. Mit dem Wunsch-Schloss 2019 (18. Juni 2019) rufen wir um Ideen auf, wie wir als Gesellschaft durch mehr Vielfalt gewinnen. Ich glaube fest daran, dass ein ehrlicher Dialog die Grundvoraussetzung ist, langfristige und kreative Lösungen zu finden. Ich glaube daran, dass wir damit die Frustration auf beiden Seiten – Mann und Frau – reduzieren können.
Persönlich versuche ich täglich Rollenvorbild zu sein. So begleitete mich meine Tochter auf Geschäftsreisen nach San Francisco oder ans Max Schmidheiny Forum nach Bad Ragaz. Ich versuche damit aufzuzeigen, dass wenn wir selbst offen bleiben, uns die Welt offen steht. Denn eine Sache ist die Regulation zu verändern. Entscheidend bleibt die persönliche Einstellung und Haltung sowie der gute Wille und die Flexibilität auf beiden Seiten. Es gibt kein «one size fits all», aber mit gutem Willen geht vieles.
Ja, es braucht Mut, es braucht Kraft, es braucht «än länge Schnuuf», aber die positiven Reaktionen und die persönliche Befriedigung, wenn die Kombination gelingt, sind unbezahlbar. Und motivieren mehr zu leisten und damit auch die Wirtschaft, den Standort Schweiz, zu befördern.